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Selbstreflexion: Spiegelbild oder Zerrbild?

  • Methode
  • 24 Juli 2025
In der Kitapraxis zeigen sich Schnittmengen zwischen verinnerlichten Handlungsmustern und dem pädagogischen Handeln der Fachkräfte. So verfolgen Teammitglieder unterschiedliche Verhaltens- und Handlungsweisen, die ihnen - aufgrund biografischer Erfahrungen - sinnvoll erscheinen: Die Kollegin, die sich z. B. vor dem Essen die sauberen Kinderhände präsentieren lässt, ebenso wie der Kollege, der dies nicht tut. Selbstreflexion hilft, das eigene Handeln zu verstehen, zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

Der Mut zu sich selbst: Selbstreflexion in der Pädagogik

„Hab Mut zu dir selbst und finde deinen eigenen Weg. Erkenne dich selbst, bevor du Kinder zu erkennen trachtest. Leg dir Rechenschaft ab, wo deine Fähigkeiten liegen, bevor du damit beginnst, Kindern den Bereich ihrer Rechte und Pflichten abzustecken. Unter ihnen allen bist du selbst ein Kind, das du zunächst einmal kennen, erziehen und ausbilden musst.“
– Janusz Korczak

Biographische Erfahrungen haben Einfluss auf den pädagogischen Alltag – besonders in Stresssituationen greifen wir (oft unbewusst) auf Verhaltensmuster zurück, die bereits in der Kindheit erlernt wurden. Das macht Selbstreflexion voraussetzungsvoll: Sie erfordert, dass wir uns unbewusster Verhaltensweisen und ihrer Ursprünge bewusst werden.

Das Mentalisierungskonzept nach Fonagy und Target bietet hierfür eine fachliche Grundlage. Mentalisierung bedeutet hinter dem Verhalten anderer Menschen Gedanken und Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche, Absichten oder Überzeugungen zu erkennen – und mehr noch: zu reflektieren, dass diese so genannten mentalen Zustände das eigene Verhalten ebenso beeinflussen wie das Verhalten  anderer. Die Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen und in Beziehung zu gehen sind die Basis, um eigene mentale Zustände analysieren und Verhalten hinterfragen zu können (=Metakognition). Oder um es mit Janusz Korczak zu sagen: Eine Grundlage für die professionelle Gestaltung pädagogischer Beziehungen ist der neugierige, kindliche Blick auf sich selbst. Dafür braucht es nicht nur den Mut sich selbst zu hinterfragen, sondern auch eine Methodik.

Sich selbst erkennen: Ein methodischer Zugang zu Selbstreflexion

Methoden zur Selbstreflexion sind vielfältig. Pädagogische Fachkräfte können sich mitunter informell im Alltag mit Reflexionsfragen beschäftigen oder in Aus- und Weiterbildungen verinnerlichte Überzeugungen – zum Beispiel durch Biographiearbeit – hinterfragen. Während Reflexion das Nachdenken über eine Situation meint, verlangt die Selbstreflexion insbesondere den kritischen Blick auf die eigene Wahrnehmung und innere Prozesse (z.B. Gedanken und Emotionen). 

Selbstreflexion ist wichtig, um Veränderungen verinnerlichter Einstellungen zu bewirken und diese nicht einfach zu reproduzieren. Wenn die Fachkraft aus dem Beispiel zu Beginn des Textes denkt: „Ich selbst wurde als Kind auch von Erwachsenen kontrolliert und das hat mir nicht geschadet – also tue ich dasselbe“, dann handelt es sich nicht um Selbstreflexion, sondern um die Reproduktion von Glaubenssätzen. Selbstreflexion beinhaltet, diese zu hinterfragen und andere Perspektiven „mitzudenken“, um alternative Handlungsstrategien zu entwickeln. Strukturierte Methoden helfen beim Erkennen blinder Flecken. In der hochschulischen Ausbildung von Lehrkräften und Kindheitspädagog:innen wurden Modelle entwickelt, die Selbstreflexion gezielt zur Professionalisierung nutzen. In Anlehnung an die Methode der Work Discussion möchte ich drei Aspekte benennen, die die Wirksamkeit von Reflexionsprozessen erhöhen können:

1. Zielgerichtete (Selbst-)Beobachtung

Die konkrete Beobachtung einer Situation ist der Ausgangspunkt – entweder teilnehmend (die Fachkraft ist aktiv beteiligt) oder nicht teilnehmend (sie beobachtet Kinder, Eltern oder Kolleg:innen). Entscheidend ist ein neugieriges, nicht bewertendes Wahrnehmen. Auch Videoaufnahmen können als Reflexionsgrundlage dienen.

2. Deskriptive Beschreibung und Protokollierung

Die Beobachtung wird deskriptiv, also beschreibend, festgehalten – ohne Bewertung des eigenen oder fremden Handelns. Im Rahmen biographischer Selbstreflexion können auch Kindheitserinnerungen auf diese Weise beschrieben und reflektiert werden.

3. Austausch in der Gruppe

Die eigentliche Selbstreflexion erfolgt dann im Dialog: Beobachtungsprotokolle werden in einer Gruppe besprochen, Eindrücke und Gefühle geteilt und Fragen gestellt: Wie habe ich die Situation erlebt? Wie unterscheidet sich meine von der Wahrnehmung anderer? Was erklärt das Verhalten der Personen? Welche Erfahrungen habe ich in ähnlichen Situationen gemacht?

 

Die hier dargestellten Punkte eignen sich für einen methodisch fundierten Zugang zur Selbstreflexion. Welche Methoden zur Selbstreflexion kennen Sie? Finden Sie die vorgestellten Aspekte bei diesen Methoden wieder?


Autorin: Denise Heinrich, WiFF

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